Startet das polnische Unterhaus (Sejm) eine politische Hexenjagd mit der Annahme des Lex Tusk?

Startet das polnische Unterhaus (Sejm)  eine politische Hexenjagd mit der Annahme des Lex Tusk?

Die Europäische Union und die meisten EU-Mitgliedstaaten befinden sich seit Beginn des Ukraine-Krieges in einem Zwiespalt in Bezug auf Polen. Das eine ’Bein’ hat viel Sympathie für die polnische Haltung gegenüber den Russen und Ukrainern, und die Zusammenarbeit in der NATO ist hervorragend zu nennen. Darüber hinaus gab Polen 2022 2,34 % des BIP für Verteidigung aus, in diesem Jahr wird 2,5 % erreicht werden. Damit gehören die Polen zu den besten der NATO-Klasse. Darüber hinaus haben die Polen inzwischen gegen 4 Millionen ukrainische Bürger aufgenommen, die vor den Schrecken des Krieges geflohen sind. In den Niederlanden sieht es leider nicht so gut aus. Letztes Jahr ging noch nicht einmal 1,5 % des BIP in die Verteidigung, in diesem Jahr wird die Niederlande die vorgeschriebene NATO-Norm von 2 % des BIP auch nicht erreichen. Deutschland hielt lange Zeit die Hand auf der Tasche in Bezug auf Verteidigungsausgaben, aber im letzten Jahr verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz, dass ein zusätzlicher Betrag von 100 Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt fließt.

Nun, und dann ist da das zweite ’Bein’. Das hat ständig Muskelschmerzen und hat inzwischen mehrere Schürfwunden davongetragen. Die Rechtsstaatlichkeit in Polen wird von der Regierung von Premier Mateusz Morawiecki (von der dominierenden PiS, der Partei Recht und Gerechtigkeit) schon seit Jahren untergraben. Mit der (anstehenden) Annahme des sogenannten ’Lex Tusk’ durch das Sejm wird der nächste Abbau einer ’Rechtsstaatsäule’ in Gang gesetzt. In der Zwischenzeit gab es bereits viele andere Probleme, wie die Ausrufung von LGBT-freien Gemeinden und die politische Kuratel über die polnische Gerichtsbarkeit (Richter und Staatsanwälte). Letzteres scheuert besonders in der EU und ist der Hauptgrund, warum die Polen noch immer auf satte 36 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbaufonds und dem EU-Haushalt warten. Übrigens sollte dieser Riesenbetrag nuanciert werden, da die EU seit dem Ukraine-Krieg bereits 5 Milliarden Euro an Warschau als Entschädigung für die Kriegskosten überwiesen hat. Beispielsweise für die Aufnahme von Millionen ukrainischer Flüchtlinge.

Zurück zur Lex Tusk. Das ist der Spitzname, den die polnische Opposition diesem Gesetzpaket gegeben hat. Sie glauben, dass die Einführung dieses Gesetzes hauptsächlich dazu dient, den Politiker Donald Tusk zu behindern. In diesem Herbst finden Parlamentswahlen und Präsidentschaftswahlen statt und es könnte gut sein, dass Tusks Partei diese gewinnen wird. Der ehemalige Präsident des Europäischen Rates (2014-2019) und ehemalige Ministerpräsident (2007-2014) ist ein politisches ’Schwergewicht’, er will mit seiner Partei Platforma Obywatelska (Bürgerplattform oder PO) erneut um die Macht kämpfen. Im Westen Polens hat Tusk große Anhängerschaft, aber im konservativen Osten ist PiS die beliebteste Partei. Es wird wahrscheinlich sehr spannend werden und das ist der Hauptgrund für die Einführung dieses Gesetzespakets Lex Tusk. Tusk muss auf jede erdenkliche Weise gestoppt werden, nur aus diesem Grund wird das berüchtigte Gesetz wahrscheinlich vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda (nicht zufällig Mitglied von PiS) unterzeichnet werden.

Der offizielle Hintergrund der Lex Tusk ist das Verhindern russischer Einflussnahme in Polen. Mit diesem Gesetz in der Hand können Untersuchungen zu angeblicher russischer Einmischung eingeleitet werden. Eine speziell ernannte neunköpfige Kommission wird dafür verantwortlich sein. Wer werden die Kommissionsmitglieder berufen? Der Senat, wo PiS derzeit die Mehrheit hat, und Premierminister Morawiecki. Der Premierminister ist die Person, die den Kommissionsvorsitzenden ernennen wird. Die Hauptaufgabe der Kommission ist die ’Wahrheitsfindung im Interesse der Sicherheit des polnischen Staates’. Einige PiS-Parteimitglieder haben bereits die Folgen der Einführung dieses ’Sicherheitsgesetzes’ angekündigt: ’Tusk wird auf jeden Fall von der Kommission untersucht werden’.

 Können auch Sanktionen an das Urteil der Kommission geknüpft werden? Sicher, im schlimmsten Fall kann der ’Schuldige’ für 10 Jahre aus öffentlichen Ämtern ausgeschlossen werden. Tatsächlich handelt es sich also um ein ’Berufsverbot’, klingelt bei Ihnen bei diesem Begriff eine Glocke? Bingo, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war dasselbe in Deutschland der Fall. Aber damals war etwas anderes im Gange, die Rote Armee Fraktion (RAF) verübte (tödliche) Anschläge und entführte Industriekapitäne.

Wenn ein solches ’Urteil’ gefällt wird, kann der Geschädigte nicht gegen die Kommission in Berufung gehen. Ein Gang vor Gericht ist möglich, aber dieser darf sich nicht mit dem Inhalt des ’Urteils’ befassen, nur etwaige Verfahrensfehler können dazu führen, dass das Urteil aufgehoben wird. Ach ja, und eine Berufung vor Gericht bedeutet nicht, dass die Beurlaubung ausgesetzt wird. (Anmerkung: Der Geschädigte würde übrigens ohnehin wenig Chancen vor Gericht haben, da mehr als 90 % der Richter hinter der PiS stehen…)

Eine schöne Rechtsstaatlichkeit in Polen, nicht wahr? Aber es gibt einen Lichtblick, das Lex Tusk wird wahrscheinlich in einer etwas abgeschwächten Form verabschiedet. Zum Beispiel dürfen Abgeordnete nicht mehr in der Kommission sitzen. Okay, aber der Senat (mit einer Mehrheit von PiS-Politikern) entscheidet immer noch, wer in die Kommission aufgenommen wird. Hier handelt es sich um 100 % ’politisches Schaufenster’, typisch für die derzeitige Regierung, die faktisch wenig mit demokratischen Werten zu tun hat.

Aber, aber auch das ’politische Berufsverbot’ befindet sich nicht mehr im Entwurf der Gesetzesvorlage und das ist schon ein positiver Punkt. Okay, aber trotzdem ist es für die (politisch berufene) Kommission möglich, eine politische Person öffentlich an den Pranger zu stellen. Jeder Oppositionspolitiker kann ab der Annahme des Gesetzes beschuldigt werden, die polnische Sicherheit zu gefährden. Die Kommission muss nur einige pro-russische Aktivitäten von angeklagten PO-Politikern veröffentlichen, wodurch PiS in der Wahlkampagne in eine vorteilhaftere Position gelangen kann. Am Ende der ’Wahlfahrt’ kann diese Desinformationskampagne möglicherweise den Unterschied zwischen PiS-Sieg und PO-Niederlage ausmachen.

Pro-russische Aktivitäten von PO-Politikern? Nein, natürlich gibt es nichts davon, aber auf (vermeintliche) Landesverräter stimmen Polen niemals, auf diese Weise versucht PiS, die anstehenden Wahlen zu beeinflussen. Besonders abscheulich alles. Was sagen Sie, es ist noch viel schlimmer? Tatsächlich ist das, was PiS tut, mit Recht Landesverrat zu nennen.

Geschreven door : András Csengő

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